Ziel und methodischer Ansatz

Ziel der Biografiearbeit ist es, sich selbst, neue Sichtweisen auf das eigene Leben zu eröffnen. Dieser eigenständige und selbstgeführte Ansatz, scheint auf den ersten Blick vielleicht ungewohnt. In meiner Praxis hat sich dafür die biografische Arbeit mit Erlebnissen sehr bewährt. Sie fragt nur vordergründig nach Zahlen, Daten, Fakten, wie wir sie vielleicht aus beruflich orientierten Lebensläufen kennen. - Stattdessen befragen wir Erlebnisse aus den verschiedenen Zeiträumen ihrer Biografie. Wir deuten sie nicht, sondern warten, bis ihr Sinngehalt sich von selbst zeigt; vereinzelt auch Jahre später im Rückblick, dann aber um so stärker sprechend.

Methodisch gesehen, ist es ein phänomenologisch-bildhafter Ansatz. Das reine Erleben, aufgeschrieben und durchgearbeitet, kann zur kostbaren Miniatur erlebten Lebens werden. Das eigene Leben offenbart sich in seinem bildhaft poetischen Charakter.

So treten individuelle Leitbilder in die Sichtbarkeit. Der eigene Lebensweg kann als `zu mir gehörig´ erfahren, sein Wert und seine Schönheit spürbar werden. Dadurch entsteht eine Akzeptanz, die Energie für den Blick auf die Gegenwart und die nahe Zukunft freisetzt.

Die gefundenen Lebenssignaturen werden zu Navigationssternen für das persönliche Handeln. In dem Maße, in dem diese zu leuchten beginnen, wächst die Klarheit und das Vertrauen in den eigenen Weg. Biografiearbeit wird dadurch zur Arbeit an der persönlichen Entwicklung.

Zeitumfang und Arbeitsstruktur

Gönnen Sie sich für diese Arbeit einen Zeitraum von ca. einem Jahr, damit sich ihr Erkenntnisprozess tatsächlich entfalten kann. Sie arbeiten weitgehend eigenständig in ihrem Rhythmus. Ich unterstütze Sie in ihrer Reflexion und ihren Fragen in individuell vereinbarten Terminen. Diese haben einen Abstand von ca.2 bis 5 Wochen. Künstlerisches Arbeiten unterstützt diesen Prozess.

Kleine Anleitung zum Schreiben von Erlebnissen

Schreiben Sie ein Erlebnis in ca. 5 Sätzen auf. Schreiben Sie nur das Erlebnis auf; das heißt, ohne Vermutungen, Behauptungen, Beurteilungen und Wertungen. Auch Erklärungen und Erläuterungen sind nachträglich zum Erlebnis dazu gebracht, also nicht reines Erlebnis.

Beispiele

  1. Die Sonne scheint, der Himmel ist blau, der Wind flaut ab. Um uns breitet sich das Meer, die Erde ist rund. Wir bergen die Segel, springen ins Wasser. Auf dem Rücken lasse ich mich tragen, schaue nach oben, fühle die unvorstellbare Wassermasse unter mir. Ich bin klein, ich bin die Mitte.
  2. In weiten Zügen schwimme ich in den See hinaus. Blitzartig wird mir klar: Ich habe keinen festen Boden unter den Füßen, erst tief unter mir. Rings um mich her nur Wasser, sonst nichts, das Ufer fern. Panik! Das Herz schlägt bis zum Halse! Ich ringe nach Luft, schlucke Wasser. Ich weiß: Wenn ich die Angst jetzt nicht bezwinge, werde ich ertrinken.
  3. Ausgelaugt, schweren Schrittes bewege ich mich barfuß auf den nassen weißen Fliesen zum Beckenrand hin. Warum strengen mich diese sechs Unterrichtsstunden vor den Bergarbeiterlehrlingen so an? Ja, ich bin ja schon seit 4 Uhr auf den Beinen. Das Wasser schimmert blau, kleine Wellen laufen hinüber. Ich lasse mich einfach hineinplumpsen. Die Schwere ist weg; Lebensgeister kehren zurück.

Der handwerkliche Blick

Lassen sie das aufgeschriebene Erlebnis über Nacht liegen und nehmen Sie es sich nächsten Tag wieder vor. Prüfen Sie Satz für Satz, ob der Text das rein Erlebte widergibt. Gibt das Aufgeschriebene nur das Erlebte wieder. Bitte korrigieren Sie das aufgeschriebene dementsprechend.

Sich dem Erlebnis durch Fragen annähern

Sammeln erster Eindrücke - Was springt ins Auge? Bei welchen Worten bin ich wach geworden? - Welche Substantive, Adjektive oder Verben werden verwendet. Was bedeuten sie? Usw.

Gesamtgestalt

Gibt es Wendepunkte, Polaritäten, Steigerungen? Atmosphären? Raum- oder Zeitgestaltungen? Wer ist anwesend?

Eine ausführliche Anleitung kann über den Ch. Möllmann Verlag erworben werden.

Rainer Schnurre Künstlerische Biografie-Arbeit Eine praktische Anleitung zum Selbst-Erlernen, Heft 1-2 Verlag Ch. Möllmann, Schloss Hamborn, Borchen